Im Rahmen meines Studiums an der Kunsthochschule werde ich dieses Jahr das zweite Mal eine Documenta besuchen. Das sollte ein Höhepunkt meiner Zeit an der Kunsthochschule sein, wir sollten Einblicke hinter die Kulissen erlangen und würden an mindestens drei Tagen in Kassel sein und ich wollte mich darauf voll einlassen.
So lange war ich noch nie von den Kindern getrennt, das wird nicht leicht und ich hoffe, diese Möglichkeit zu Lernen, wird sich auszahlen und mir viel bringen.
Ich wollte die Reise dokumentarisch begleiten und einen Film darüber drehen, aber die Entwicklung, die unser Kurs und die gesamte Veranstaltung genommen hat, vergällt mir jedes Interesse.
Documenta 14
Als ich vor 5 Jahren das erste Mal eine Documenta besuchte, war das eine Art Erweckungsmoment. Ich ließ mich auf die ausgestellten Kunstwerke ein und wenn ich jetzt zurückdenke, dann erinnere ich mich besonders an zwei Werke.
Erstens
Salz, wenig Salz, kein Salz, stand in Französisch mit Edding auf weißem Papier. Diesem Bild wurde soviel Raum gegeben und es war so inhaltsleer, dass es mich aufregte. Ich wollte es verstehen. Gut, ich verstehe es noch immer nicht, aber ich bin kurz davor…
Zweitens
Am Zugänglichsten empfand ich die Wohnung in den Betonröhren von Hiwa K.
Hiwa K war zufälligerweise der Redner auf der Semestereröffnung, die meinen ersten offiziellen Tag an der Kunsthochschule darstellte. Er sprach weit ausholend, abschweifend und voller Elan. Er zeigte Fotos aus seinem eigenen Studentenalltag an der Kunsthochschule Mainz. Er war so unangepasst, er hatte sich nicht einfügen können und es auch nicht gewollt.
Antisemita 15
Nun hatten wir die ersten Kurstermine zur Vorbereitung auf unsere Exkursion und wir lernten über die Vergangenheit, die Entwicklung und die Gegenwart der Documenta. Wir sollten uns auch Gedanken über die mögliche Zukunft der Documenta machen und eine Dame im Kurs machte gar den ketzerischen Vorschlag die Veranstaltungsreihe komplett einzustampfen.
Ein Vorschlag, der angesichts der aktuellen Berichterstattung nicht mehr so unwahrscheinlich und eventuell gar wünschenswert erscheinen kann.
„In Kassel findet seit ein paar Tagen die bedeutendste deutsche Kunstschau »antisemita fifteen« statt, Verzeihung, die »documenta fifteen« natürlich. Aber die Kunst ist in den Hintergrund getreten, weil um die Documenta eine Antisemitismusdebatte tobt. Die Art, wie diese Diskussion geführt wird, ist bezeichnend. Denn hier offenbart sich eines der größten, wenn nicht das größte der derzeitigen Probleme mit Antisemitismus in Deutschland. Es ist eine breite, bürgerliche Antisemitismusakzeptanz von Leuten, gleich ob sie sich für konservativ, liberal, aufgeklärt oder links halten, mit dem Leitgedanken: Ein bisschen Judenhass ist doch okay.“
Einleitende Worte der Kolumne von Sascha Lobo (22.06.2022, 13.17 Uhr)
https://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/sascha-lobo-ueber-den-documenta-skandal-willkommen-bei-der-antisemita-a-424a0c6f-ec04-4158-92be-9ab8f03f17a
Die Medien schießen sich in vielen Berichten auf dieses besonders plakative Werk ein, ein etwa 20 Jahre altes großformatiges Banner, das die Multikulturalität der Welt als Übel darstellt und und eine gesellschaftliche Gleichschaltung verteufelt.
Dabei geht es viel tiefer und hätte viel eher bemerkt werden müssen.
Ich habe mich in einem frühen Kurstermin in die Nesseln gesetzt und sprach von einer vermeintlichen Feindschaft zwischen den Religionen, einer Vorstellung die wohl nicht der Lehrmeinung entspricht und aus mir überlieferten Vorurteilen erwachsen ist. So hatte ich nun unreflektiert ein Vorurteil weitergetragen, was mich sehr ärgerte, da mir solche Sachen durchaus wichtig sind. Es ging da bereits um die antisemitischen Vorwürfe, insbesondere eines antideutschen Bloggers gegenüber der Kuratoren und Künstler und meine These war, dass dieser Blogger im islamisch geprägten Indonesien einen inhärenten Antisemitismus existieren sah, der sich in die Positionen und Werke von Künstler- und Kuratoren-Kollektiven niederschlüge.
Ich sollte für diese unqualifizierte Äußerung Rechenschaft ablegen und akzeptierte meinen Fehler, ich entschuldigte mich mehrmals, lehnte es jedoch ab, weiter zu diesem gesamten Themenkomplex Stellung beziehen zu wollen. Ich bin aufgebracht und würde mich nur weiter um Kopf und Kragen reden und werde niemals die Konflikte und den Hass verstehen, für mich ist das absolut Gestrig und ich möchte damit einfach nichts zu tun haben.
Ich brauche eine Exkursion zur Qualifikation für meinen Abschluss und habe bereits die sehr teuren Hotelübernachtungen gebucht, ich legte sehr viel Hoffnung in diesen Kurs, dennoch hoffe ich, dass auch diese Exkursion, wie die beiden anderen zuvor, an denen ich teilnehmen wollte, abgesagt wird. Diesmal nicht wegen einer Pandemie, sondern wegen tiefsitzendem Antisemitismus in einer Veranstaltung die tolerant, weltoffen und frei von Hass sein sollte.
Der Kunstbetrieb und die Verantwortlichen in der Politik waren hier auf dem rechten Auge blind und das ist ein institutionelles Problem, dass seit der ersten Documenta bestand (Wir hatten im Kurs über die Nazivergangenheit von Künstlern, Kuratoren und Politikern gesprochen.) und bisher nicht ordentlich aufgearbeitet wurde.
Die Documenta war als Werkzeug zur Entnazifizierung des Kulturbetriebs Deutschlands von der CIA(!!!) mitbegründet worden und darauf aufbauend sollte die nächste Documenta hart mit der eigenen Vergangenheit ins Gericht gehen – oder gar nicht erst stattfinden.