Intro
Bevor mit dem Aufkommen der Fotografie, zur Mitte des Neunzehnten Jahrhunderts, ein demokratisierendes Werkzeug zur bildlichen Dokumentation und Wiedergabe gefunden war, erforderte es jahrelange Erfahrung und zeichnerisches Talent um grafisch Eindrücke von Menschen, Orten und Geschehnissen für die Nachwelt zu Erhalten.
Zugegeben, zu Beginn der Fotografie erforderte es auch mehr als Etwas technisches Geschick. Viel Geduld, eine lichtempfindlich-beschichtete Glasplatte und natürlich auch eine teure und empfindliche Kamera waren notwendig.
Illustrationen erfahren zwangsläufig, da sie von Hand entstehen, eine stärkere Filterung und Beeinflussung durch den Illustrierenden. Größenverhältnisse, Perspektiven, die Schaffung der bildlichen Realität ist dem Willen und dem Unterbewussten, den Emotionen der Bildschaffenden unterworfen und eine objektive Reproduktion des Motivs ist weitaus schwieriger und praktisch unmöglich.
Noch heute findet man vor Gericht, wo Fotografien in laufenden Prozessen zum Schutz von Persönlichkeitsrechten verboten werden können, die Praxis des Gerichtszeichnens. (1)
Bis die künstlerischen Möglichkeiten der Fotografie erkannt wurden, hielt man Fotografie entweder für etwas Minderwertiges oder aber für eine lupenreine und objektive Abbildung der dargestellten Realität. Natürlich trifft Alles und Nichts zu. Die Motiv- und Standortwahl, Cadrage, Licht, chemische Zusammensetzung, der Zustand von Objektiv und Kamera selbst, Belichtungszeit… All das waren und sind Faktoren, die natürlich auch einen Einfluss auf die Qualität der Objektivität, Darstellung und Deutbarkeit haben.
Colonial Photography
Die Kolonialfotografie, schaffte bis dato unbekannte Bildwelten, die in großem Umfang bis heute überliefert sind und deshalb die Vorstellungen dieser und vergangener und noch nicht dokumentierter Zeiten prägen – die nicht mehr in Fotografien eingefangen werden konnten.
Der Kolonialismus, zu diesem Zeitpunkt seit Jahrhunderten in voller Blüte und vornehmlich in der Hand weniger europäischer Königshäuser, adaptierte schnell neue Technologien, wie alle Erscheinungsformen des Kapitalismus.
Technologie sorgt für eine höhere Produktivität. Die Kolonialfotografie war ein Werkzeug zur Rechtfertigung der Verbrechen – stellte man Bevölkerungsgruppen als geringwertiger als man selbst dar, führte das zur eigenen Erhöhung und erleichterte die schamlose Ausbeutung der Denigrierten zur Gewinnmaximierung.
Einen Zusammenhang, auf den Said in seinem Werk „Orientalism“ (1978) hinweist. Erstens hätten westliche Wissenschaftler – „Orientexperten“ in ihrer Darstellung der fremden Kultur diesen Gegenstand ihrer Forschung zunächst als unterlegenes Anderes konstruiert und ihn auf diese Weise schließlich geschaffen. Zweitens sei das so produzierte Wissen dafür instrumentalisiert worden, koloniale Machtstrukturen zu verfestigen und zu legitimieren, indem es alternativlos in den Bildungskanon der kolonisierten Subjekte implementiert wurde. (3)
Was die Vertreter der Kolonialmächte als Gebrauchsfotografie für Rassenstudien und für andere Dokumentationen produzierten, füllt heute viele Regalmeter in Bibliotheken und Archiven in aller Welt.
Der koloniale Blick war geprägt von einer heteronormativ-männlichen, ethnisch-weißen und zudem außerordentlich-privilegierten Position, einer voyeuristischen Gier nach Exotik, Abenteuer, aber auch großer Verachtung seines Gegenüber.
Die Auseinandersetzung mit dieser Thematik ist unbequem und unerfreulich, was auch eine Erklärung dafür ist, dass unsere Kolonialgeschichte so schlecht aufgearbeitet ist.
Die Fotografien sind häufig nüchtern beobachtend und sicherlich waren nicht alle Fotografien unter derart grauenvollen Umständen entstanden, aber es ist kein Humanismus zu finden, da das fotografierte Subjekt für die Fotografierenden häufig nur ein aufregend-fremdartiges Tier war, das man waidwund vor die Kamera zerrte.
Die Greuel der Kolonialzeit, die genau genommen nicht lange vergangen sind, wurden von den Weltkriegen überschattet, heute behandelt man das Thema im Geschichtsunterricht in vielleicht einer Stunde ab, wenn überhaupt.
König Leopold von Belgiens imperialem Wahn sind im Kongo zehn Millionen Menschen zum Opfer gefallen, heute ist Belgien ausschließlich für Waffeln, Schokolade, Jean Claude van Damme und klebrig-süßes Bier bekannt.
Eine angemessene Aufarbeitung muss erfolgen, sonst wird die Geschichte – geschrieben von den Gewinnern – uns dazu verdammen, die selben Fehler immer und immer wieder zu begehen.
Wie wir durch die Entwicklungen der letzten Jahre erfahren haben, durch Fake News, Verschwörungsmythen und die Ablehnung kausaler Zusammenhänge, etwa bei der noch grassierenden Covid-19-Pandemie, sind Menschen in der Lage für sie unbequeme Fakten auszublenden und sich ein Weltbild zu schaffen, dass in sich nicht einmal stimmig sein muss.
Die Macht der Nostalgie
Der verklärende Blick der Nostalgie hat den Unrechtsstaat der Deutschen Demokratischen Republik für manchen ehemaligen Bürger zu einem Sehnsuchtsort gemacht.
Gerade Entwurzelte, wirtschaftlich, sozial Abgehängte klammern sich an idealisierte Vorstellungen von Vergangenem, an eine Heimat, die es so nie gab.
Die heraufbeschworene Gemeinschaft, der vermeintliche Wohlstand, sind Illusionen, denen man sich nur zu gerne hingibt und darüber die begangenen Verbrechen leicht verdrängt.
Die Bespitzelung der Bevölkerung untereinander ließ viele Familien, wie auch meine eigene, nach dem Fall der Mauer zerbrechen. Geschwister verrieten einander an die Staatspolizei, Kinder wurden ihren Eltern weg genommen und in Heime gesteckt. 166 mal wurde per Guillotine oder Nahschuss die Todesstrafe vollstreckt. Aber hey, die Renten waren sicher und jeder hatte Arbeit, auch wenn er tagaus-tagein nur den Dorfplatz kehrte! (4)
Die Jugend Hongkongs glorifiziert aktuell die Zeit unter britischer Herrschaft, weil sie ihre Regierung der Gegenwart und die drohende Zukunft unter Chinesischer Oppression ablehnen. Es hat sich eine regelrechte Imperialismus-Nostalgie entwickelt. Anhänger dieser Nostalgie wollen zurück in eine Zeit, die sie selbst nie erlebt haben und die sie nur durch eine sepiafarbene Hipster-Brille und Musikvideos imaginiert kennen (Siehe den Abschnitt Afterthought). (20)
Imperialismus-Nostalgie – Verlust nationalistischer Grandeur, imperialer, internationaler politischer und ökonomischer Vormachtstellung (Hegemonie)
Kolonialismus-Nostalgie – Verlust soziokulturellen Stands, das Vermissen des (romantisierten) kolonialen Lebensstils (21)
Das Brexit-Referendum hatte soviel Erfolg, weil es dem durchschnittlichen Briten wirtschaftlich eher schlechter als seinen französischen, skandinavischen oder deutschen Nachbarn geht und den Briten stecken offensichtlich die alten Großreichfantasien noch immer in den Knochen. Schließlich war man doch mal wer! Das britische Weltreich, das Reich in dem die Sonne niemals unterging! Long live the Queen!
Das englische Königshaus hat seinen Wohlstand über Jahrhunderte aus der Arbeitskraft der unterjochten Länder akkumuliert und konnte sich so immer größere Wahnvorstellungen leisten und ermöglichte sich ein mittelalterliches Ständesystem zu erhalten, das den Grundbesitz in „der Familie“ hielt und keinen den Nachbarstaaten entsprechenden, wohlhabenden Mittelstand entstehen ließ. Arbeiter wurden als Kinder von Arbeitern geboren, eine Durchlässigkeit von Bildung, soziale Mobilität und Aufstiegsmöglichkeiten wie sie in anderen europäischen Ländern existieren, hat man erfolgreich verhindert.
So sehe ich die künstlerische Position von Jimmy Nelson, um den es hier gehen soll, als symptomatisch für einen privilegierten Briten der Boomer-Generation, der Privatschulen besuchte und zeitlebens die Welt und ehemalige Kolonien bereiste.
Post-colonial Photography
Der Kolonialismus war keine Einbahnstraße. Um bei dem Beispiel Großbritanniens zu bleiben… Indien bekam eine einheitliche Amtssprache und modernes Rechtssystem vorgeschrieben, Kricket etablierte sich nachhaltig zur Nationalsportart und ein europäisch-geprägtes Schönheitsideal beeinflusst noch heute das Casting in Bollywood-Filmen. (5)
Der indische Einfluss wiederum machte Chicken Tikka Masala zum britischen Nationalgericht und ein englischer Nachmittag ist heute Synonym mit Teekonsum, der ohne die Kolonien Ceylon und Indien nicht entstanden wäre.
Der Postkolonialismus befasst sich mit den Folgen des Kolonialismus, der Begriff wird aber nicht länger nur linear-historisch verstanden, da sich das Geschichtsverständnis hin zu einer Sicht komplex-verschränkter Wechselwirkungen entwickelt hat. (3)
Die Postkoloniale Fotografie sucht sich dasselbe Sujet, entlarvt aber den kolonialistischen Blick, den Rassismus, den Orientalismus, sie ist nicht einfach nur eine Fotografie, die nach der Zeit des Kolonialismus entstanden ist.
Jimmy Nelson
James Philip Nelson wurde 1967 in Kent, England geboren. Da sein Vater Geologe beim Neo-Imperialisten Shell Oil war, verbrachte er seine Kindheit in Afrika, Asien und Südamerika.
Mit 16 Jahren litt Jimmy an Malaria und als Nebenwirkung des Medikaments fielen ihm alle Haare aus.
Als Jugendlicher reiste er viel und hatte schon sehr früh kommerziellen Erfolg mit seinen Fotoserien aus Tibet und Kriegsgebieten in aller Welt.
Royal Dutch Shell Oil, der Arbeitgeber seines Vaters, beauftragte Nelson 1992 das Buch „Literary Portraits of China“ zu produzieren. Seine damalige Frau und er reisten dafür 30 Monate durch China.
Neben der kommerziellen Arbeit verfolgte er weiterhin sein Interesse für „fremde“ Kulturen, was ihn zu seiner prominentesten Arbeit führte, „Before they pass away“, ein epischer Bildband von über 400 Seiten mit etwa 500 Abbildungen. (7)
„Before they pass away“
Für dieses Mammutwerk konnte Nelson sich die Finanzierung eines niederländischen Mäzen sichern, der seine Milliarden unter anderem mit dem Einzelhändler Hema verdient hatte.
Ab 2010 bereiste Nelson für die Arbeiten über drei Jahre Europa, Asien, Afrika, Südamerika und den Südpazifik und fotografierte mehr als 35 Eingeborenenstämme, die er in einer romantisierten, stilisierten Art und Weise fotografierte um sie „auf ein Podest zu heben“, wie er es nannte. (7)
Im Folgenden nun eine Auswahl von Motiven aus dem Bildband:
In seinen vielen TED-Talks, die man auf YouTube streamen kann (8,9,10,11,12,13) beschreibt er die Strapazen, die teils monatelange Arbeit für nur ein Motiv und seine Abenteuer in einer selbstkritischen und humorvollen Weise. Mit dieser Despektierlichkeit sich selbst gegenüber, er spricht unter anderem davon wie er sich betrunken einurinierte oder vor Ermattung weinte, bemüht er sich darum demütig zu erscheinen, womöglich auch um seinen Kritikern zuvor zu kommen.
Kritik
Kritik zu üben fällt leicht, leichter als etwas zu Schaffen. Schaut man sich jedoch an, wer hier Kritik übt, wird diese sehr gewichtig. Der folgende Abschnitt ist der englischsprachigen Wikipedia entliehen:
Nelson’s work has been criticized for inaccuracies and generalizations.[16] Julia Lagoutte writes in the OpenDemocracy: „It is simply not true that tribal people have been „unchanged for thousands of years“; they have been evolving constantly, as we have. It is clear that for Nelson, their attraction and purity is rooted in their exclusion from the future, and their containment to the past – so that is the only reality he presents in his photos. By omitting their interactions with the ‘modern world’ that they are a part of, and perpetuating the myth that they are dying out, Nelson’s work freezes tribal peoples in the past and effectively denies them a place in this world.“[16] Nelson’s project Before They Pass Away came under attack from Stephen Corry, director of Survival International , the global movement for tribal peoples’ rights. Corry attacked Nelson’s work for presenting a false and damaging picture of tribal peoples.[17] Corry maintained that Nelson’s pictures bore little relationship either to how the people look now, or to how they’ve ever appeared.[17] Papuan tribal leader Benny Wenda has also criticized Nelson for describing his tribe as „headhunters“, when in fact the Dani have never practised cannibalism. [18] Nelson also received criticism from fellow photographers, such as Timothy Allen, a veteran photographer for the BBC’s Human Planet. He states that, „the patronizing and self-aggrandizing narrative behind ‚Before They Pass Away‘ is literally painful to watch.“[4]
Nelson defended his work against the criticism of Survival International in a BBC interview, explaining, „The pictures are definitely arranged. People don’t naturally stand under a waterfall at 7 AM waiting for the sun to rise, unless you ask them to. I’m presenting these people in a way that hasn’t been done before. We present ourselves in the developed world in a very idealised, stylised way because we believe we are important. I’ve given them the time, the respect that we would give ourselves…“[5] „The title [Before They Pass Away] was melodramatic,“ Nelson said in an interview with WBUR. „A little naive. Everyone got upset saying, „Who’s dying?“ It was a little bit naive, but then it actually paid off because it caused a big discussion.„[19] Nelson denies exploiting any of the indigenous communities, and argues that only after gaining trust and understanding of their culture they grant him access.[13] Nelson defended his book by saying that it was never meant to be reportage, but an „aesthetic, romantic, subjective, iconographic representation of people who are normally represented in a very patronising and demeaning
https://en.wikipedia.org/wiki/Jimmy_Nelson_(photographer)
way.“[20]
Namhafte Kollegen, Interessenvertreter indigener und Indigene selbst sprachen sich gegen seine Arbeit und ihn aus, Nelson stellte friedliebende Papuaneuguineaner als kannibalistische Kopfjäger dar, die sie eigener Aussage nach nie gewesen waren.
Aufgrund dieser Kritiken, relativierte er (erst) 2019 seinen Ansatz und sprach nun davon, keine dokumentarische Wahrheit, sondern seine künstlerische Interpretation zeigen und die Diversität und Schönheit feiern zu wollen. (7)
Die fotografierten Subjekte wurden nicht entlohnt oder am Erlös beteiligt, Nelson wird meiner Meinung nach zu Recht Ausbeutung und Selbstbereicherung vorgeworfen. Bei der Veröffentlichung des Bildbands im Jahre 2013 kostete dieser bereits 128 Euro, heute ist er gänzlich vergriffen und mehrfach neu aufgelegt, unter anderem in limitierten Auflagen die direkt 500 Euro kosteten. Darüber hinaus brachte ihm der Verkauf einzelner Motive in Galerie-Qualität je großformatigem Abzug zehntausende Dollar.
Er war sogar um die Ausschlachtung seiner Arbeit in einer eigenen Reality-Doku bemüht, die merkwürdigerweise produziert aber niemals publiziert wurde. Der einzige zu findende Upload zumindest der ersten Folge dieser Sendung ist im YouTube-Channel des deutschen Auftragskomponisten und hat nur wenige Hundert Aufrufe. (15)
Es war mir nicht gelungen in Erfahrung zu bringen, warum dieses Nebenprojekt gescheitert ist. Nelson stand mir leider nicht für ein Interview zur Verfügung. Ich vermute, dass der Gegenwind der Interessenvertreter der Urvölker zu groß war und dass die Fotomotive von einst anders reagierten, als Nelson erwartet hatte, als er sie nicht mehr allein, sondern mit einem ganzen Filmstab, erneut aufsuchte.
Auf seiner Website bietet Nelson jetzt Jimmy Nelson branded cultural educational an, mit Arbeitsblättern zum Ausdrucken und einer App, die dank optischer Erkennung erweiterte Informationen zu den Fotografien in Nelsons Bildbänden liefert.
Um Jimmy Nelsons Arbeit besser einordnen zu können, stelle ich nun noch zwei Künstlerinnen und ihr fotografisches Werk vor.
Leni Riefenstahl
Helene „Leni“ Riefenstahl wurde am 22. August 1902 in Berlin geboren. Als junge Frau fand Sie ihre Berufung im Film und war zunächst Schauspielerin, ehe sie selbst produzierte und Regie führte.
Als narzisstische Opportunistin nutzte Sie die ihr gebotene Chance und drehte ab der Machtergreifung 1933 nur noch Propaganda für das Dritte Reich.
Riefenstahl und Hitler (obiges Bild, 1934) wird eine besondere Beziehung nachgesagt, aber ich möchte die besondere Leistung dieser Frau, insbesondere zur damaligen Zeit zum Einen nicht Relativieren, aber zum Anderen ihre Mitschuld auch nicht Schmälern.
Der Sonderfilmtrupp Riefenstahl dokumentierte an vorderster Front, sie war von Beginn an nach eigenen Worten „glühende Nationalsozialistin“ und es erschließt sich mir nicht, wie man Riefenstahl 1949 auch im dritten Spruchkammerverfahren nur als „Mitläuferin“ einstufen und straffrei halten konnte. Riefenstahl wollte ihren Namen rein waschen und führte nach 1945 etwa 50 Prozesse wegen Verleumdung oder übler Nachrede. Sie erhielt zwar keinen Arbeitsverbot, aber aus denkbaren Gründen gelang es ihr nicht mehr eine Finanzierung für weitere Filme zu sichern. So konnte Sie – selbst mittellos und bei ihrer Mutter lebend – etwa die Filme „Afrikanische Symphonie“ oder „Die Schwarze Fracht“ über den modernen Sklavenhandel, nicht realisieren.
Ihre vielen, von Gönnern finanzierten, Expeditionen brachten sie ab den 1950ern nach Kenia und in den Sudan, wo sie bei einem Stamm der Nuba lebte und über Jahre dokumentierte. Erst in Zeitschriften veröffentlicht, brachten ihr diese Fotografien eine neue Existenz als professionelle Fotografin und füllten bald mehrere Bildbände, die noch heute sehr begehrt sind. Im Alter von 71 ließ sie sich gar noch als Taucherin ausbilden und wurde Unterwasserfotografin und hatte danach noch viele erfolgreiche und aufregende Jahre, sie stürzte gar mit einem Helikopter in Khartoum ab und überlebte schwer verletzt. (19)
Riefenstahls „Africa“ begegnete mir in meiner Kindheit, ich erinnere mich an die aufregenden Aufnahmen der mit Kalk geschminkten Gesichter, der nackten Leiber.
Der Körperkult, den Riefenstahl in „Triumph des Willens“ (1934) und „Olympia“ (1936) zelebrierte, ist auch hier Gegenstand.
Sollte man ihr tatsächlich Unrecht getan haben, so dürfte Riefenstahl durch ihren künstlerischen Erfolg, auch noch in späten Jahren, entschädigt worden sein. Sie erhielt bis Zuletzt viel positive Berichterstattung und mediale Aufmerksamkeit, die sie sichtlich genoss. Sie verstarb erst 2003 101-jährig in ihrer Villa in Pöcking am Starnberger See.
Tayo Adekunle
Die junge Engländerin Tayo Adekunle stammt aus Wakefield und hat am Edinburgh College of Art 2020 ihren B.A. erlangt. Ihr Abschlussprojekt „Reclamation of the Exposition“ ist eine “exploration of race, gender and sexuality”.
Adekunles Familie stammt aus Nigeria und als junge schwarze Frau ist ihr Blick auf die Kolonialzeit und -fotografie ein persönlicherer als es der von Nelson oder Riefenstahl sein kann.
Sie findet historische Motive in Fotografie, Skulptur oder Zeichnungen und nutzt Collage und Fotografie um die inhärenten Ideen zu kritisieren.
“I placed myself alongside the other women in the photographs to show the relationship between how they were treated in the past and how many Black women are treated and seen today.”
Tayo Adekunle
Adekunle stellt historische Aufnahmen des weiblichen Körpers dank digitaler Collage in einen zeitgenössischen Kontext und nutzt dabei ihren eigenen Körper um über den Wandel der Wahrnehmung von Sexualität, Schönheitsstandards, Erwartungshaltung und dem Platz in der Gesellschaft zu sinnieren.
Sie schafft durch Schärfe und Textur einen scharfen Kontrast zwischen historischem und modernem Motiv und gerade in diesem Bild entsteht viel Spannung durch die Körperhaltung, den Blick in die Kamera, in die Augen des Betrachters.
Fazit
Nun habe ich drei Künstler*innen aus drei unterschiedlichen Generationen vorgestellt, deren Schaffenszeiträume NACH dem Kolonialismus liegen, aber sind diese Werke auch tatsächlich als Postkolonial einzustufen?
Nelsons Motivation, seine Modelle auf ein Podest zu heben, hochzustilisieren, mag legitim sein und erscheint offensichtlich für viele Rezipienten als reizvoll.
Mitte der 2000er-Jahre gelangte der in den 1980ern entstandene Steampunk in den Mainstream, ich sehe hier dieselben Sensibilitäten und den heteronormativ männlich und ethisch klar umgrenzt weißen Blick der Kolonialfotografie.
Für mich deutet der Erfolg Nelsons für die große Imperiale-Nostalgie für eine vortechnisierte, analoge, einfachere Welt mit klaren Werten und einer ökonomischen und politischen Hegemonie.
Nelson schafft eine Hochglanzästhetik, wie aus Magazin und Werbespot, die wir mit Luxusartikeln wie Parfums und Kosmetik verbinden. Auch das mag von mir Negativer besetzt sein, als es die Fotografierten selbst bewerten würden. Aber versperrt er uns dadurch nicht auch in die Motive einzudringen? Unser Blick gleitet auf einer perfekten, glatten Oberfläche dahin, wird vom Blendwerk vereinnahmt und wir dringen nicht tiefer zu den Charakteren, Geschichten und ihrer Kultur vor.
Eine Darstellung, die häufig ein Reenactment ist und nicht der Realität, dem tatsächlichen Leben der Urvölker entspricht. Es sind Menschen, die sich dagegen wehren auszusterben, die sehr häufig einen Platz in der „zivilisierten“ Welt gefunden haben, in der sie mitunter „gewöhnliche“ Arbeitnehmer und Kaufleute sind.
Jimmy Nelson verweigert den Stammesangehörigen, ihren Familien und ihren Kulturen ihren Platz in der heutigen Welt.
Ich behaupte: Riefenstahl beobachtete, verehrte, ja, liebte die Nuba und konnte in deren Mitte wahrscheinlich ein befreiteres Leben genießen. Ihre Rasse-Ideale hatte sie dafür nur geringfügig verschieben müssen.
Was Riefenstahl dokumentierte war für Sie wahr, man fühlt ihre Zuneigung zu den Nuba. Allerdings deute ich eine gewisse Objektifizierung in die Fotografien der nubischen Männer. Große, starke Männer, ohne falsche Scham, deren Genitalien entblößt sind. Von der Zivilisation unverdorbene Naturmenschen – edle Wilde, die im Einklang mit der Natur leben und viele Ideale des arischen Herrenmenschen erfüllen. (18)
Dennoch hat Riefenstahl keinen prägnant weiblichen Blick, sowie Nelson keinen hervorzuhebenden männlichen Blick hat. Die Unterscheidung zwischen männlichem und weiblichem Blick ist meiner Meinung nach von geringerer Bedeutung, schwerer wiegt die Individualität der Fotograf*innen.
Nelson betreibt wie auch Riefenstahl eine anachronistische Fotografie, die dezidiert koloniale Strukturen und den kolonialen Blick voraussetzt, statt diesen zu überwinden.
Adekunle hingegen setzt sich mit ihrer fotografischen Arbeit recuperativ mit der Kolonialfotografie auseinander. Sie eignet sich viele Motive an und macht sie zu eigen. Ihr Blick ist ein bestimmt weiblicher, aber auch dies geht stärker auf ihren Intellekt und ihre Individualität zurück, als auf ihr biologisches Geschlecht.
Ihre Bilder untersuchen die Fetischisierung, die Sexualisierung und das Zur-Ware-Machen schwarzer Körper in der Kolonialfotografie. Schwarze wurden und werden Aufgrund ihrer körperlichen Merkmale und der „Andersartigkeit“ von Weißen zum Spektakel erklärt und sexualisiert. Ein Phänomen das man im Interracial-Pornogenre wiederfindet, wo schwarze Männer und Frauen auf eine (positive?) rassistische Weise herabgewürdigt werden. Schwarze Männer sind häufig nur BBC (Big black cock) und alle schwarzen Frauen sind ebony, wie Ebenholz.
Adekunle fühlte sich laut eigener Aussage nicht wohl andere Körper für ihre Fotografie zu nutzen und so kontrastiert sie die Entblößung der damaligen Motive durch ihre Selbstbildnisse, in denen sie die eigene Entblößung und deren Umfang gezielt einsetzt.
Adekunle erlangt so, als schwarze Frau, Macht über ihren Körper und durch das Aneignen und Neubesetzen der Kolonialfotografien, gelingt es ihr vielleicht nicht die geraubte Ehre der entblößten Frauen (und Männer) wiederherzustellen, aber sie stellt sich schützend vor die Schutzlosen, sie weist auf die begangenen Verbrechen hin und ich kann mir gar nicht anmaßen die Bedeutung ihrer Arbeit wirklich zu verstehen.
Tayo Adekunle konzentriert sich in ihrer Arbeit auf einen Bereich, der ihrer Erfahrens- und Empfindungswelt am Nächsten liegt. Sie bewahrt sich dadurch eine große Objektivität im Auge der Rezipienten. Ihre Deutung ist nicht von der Hand zu weisen, die gestalterische Qualität ist kein Blendwerk, sondern Mittel zum Zweck. Tayo Adekunle schafft persönliche postkoloniale Collagen aus Selbstbildnissen, in Textilien aus Familienbesitz, mit einer ethnischen Beständigkeit.
Nelson bemächtigt sich nicht seiner eigenen Kultur, er weigert sich in den Spiegel zu schauen und maßt sich gleichzeitig eine Deutungshoheit über ALLE in seinen Augen „gefährdeten“ Kulturen an.
Quellen:
- https://www.spiegel.de/fotostrecke/studentenjob-gerichtszeichner-verbrecher-aus-aquarell-fotostrecke-19245.html
- EEPA 1977-0001-171-01, Eliot Elisofon Photographic Archives, National Museum of African Art, Smithsonian Institution
- https://de.wikipedia.org/wiki/Postkolonialismus
- https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_in_der_DDR_hingerichteten_Personen
- https://www.vice.com/en/article/5dp8bk/bollywood-movies-films-fairness-religion-gender-caste-study-india
- https://www.sacredfootsteps.org/2020/06/08/photography-as-a-tool-of-power-and-subjugation-how-the-camera-was-used-to-justify-black-racial-inferiority/
- https://en.wikipedia.org/wiki/Jimmy_Nelson_(photographer)
- https://www.youtube.com/watch?v=mPPxBpTP5hE; Before they pass away: Jimmy Nelson at TEDxAmsterdam
- https://www.youtube.com/watch?v=OWq7ToR2U8Q; Jimmy Nelson: Gorgeous portraits of the world’s vanishing people
- https://www.youtube.com/watch?v=2G8C36aKnpU; The global language of photography | Jimmy Nelson | TEDxCannes
- https://www.youtube.com/watch?v=u6w86qaZWDs; The „Art“ of Communication | Jimmy Nelson | TEDxInstitutLeRosey
- https://www.youtube.com/watch?v=OEadZk39uvM; Searching for authenticity | Jimmy Nelson | TEDxArendal
- https://www.youtube.com/watch?v=aRgRwJ_qBFk; Before they pass away Jimmy Nelson at TEDxAmsterdam
- https://tadviser.com/index.php/Article:Democratic_Republic_of_the_Congo_%28DRC%29
- https://www.youtube.com/watch?v=Y45iZ5PFcuk; Before They Pass Away by Jimmy Nelson 1st episode Vanuatu
- https://youtu.be/XB6cucsogug; HerbalEssences Werbung Sommer 2015
- https://tayo-adekunle.format.com/collages
- https://de.wikipedia.org/wiki/Edler_Wilder
- https://de.wikipedia.org/wiki/Leni_Riefenstahl
- https://www.thetimes.co.uk/article/colonial-nostalgia-rules-as-young-refuse-to-accept-beijing-rule-gswccq0vf
- https://www.berghahnjournals.com/view/journals/historical-reflections/39/3/hrrh390308.xml